Von: Michael Walter
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Singen seit der siebten Klasse zusammen: Peter Schmidt-Bormann (l.) und Andreas Erbe.
Erbe hat jetzt nach 33 Jahren die Leitung des Popchors abgegeben. © Walter
Andreas Erbe hat den Popchor Syke nicht nur gegründet, sondern auch 33 Jahre lang geleitet. Nun ist für Erbe Schluss: Corona und das Älterwerden sind die Gründe.
Syke – Ein bisschen ist das so, wie wenn die Kinder einen verlassen, weil sie jetzt groß sind und aus dem Haus gehen. Nur noch krasser. Bis ein Kind selbstständig ist und seinen eigenen Hausstand gründet, dauert es – je nachdem – 16, 18, 20, vielleicht 25 Jahre. Andreas Erbe trennt sich jetzt nach 33 Jahren vom Popchor. Und an dieser Stelle hinkt der Vergleich auch schon.
Denn in diesem Fall verlässt nicht das Kind seine Eltern, sondern der Papa sein Baby.
1989 hat Andreas Erbe den Popchor Syke gegründet und seitdem ununterbrochen geleitet. Und jetzt ist er weg. Nicht plötzlich, sondern mit Plan und Ansage. Aber trotzdem: Er ist weg, und damit ist alles ganz anders als vorher. Für beide Seiten.
Andreas Erbe hat den Popchor Syke erst verlassen, nachdem die Nachfolge geregelt war
„Corona war ein Anlass“, sagt Erbe. „Das Älterwerden ein anderer.“ Er ist Baujahr 1952. Und wenn man die Zahl 70 vor dem inneren Auge sieht, kommt man ins Überlegen. „Am Rollator dirigieren muss echt nicht sein“, sagt er augenzwinkernd. „Mick Jagger ist zwar noch älter als ich und tourt immer noch. Aber irgendwann wird’s auch mal peinlich.“ Nicht, dass ihm der Chor keinen Spaß mehr machen würde. „Aber ich möchte auch einfach mal ins Wohnmobil steigen und losfahren können, ohne einen festen Termin vor der Brust zu haben.“
Den Chor traf Erbes Entscheidung nicht unvorbereitet. „Im Februar hat er angekündigt, dass er die Leitung abgeben möchte und so lange weitermacht, bis die Nachfolge geregelt ist“, erzählt Peter Schmidt-Bormann. Er ist Chormitglied der ersten Stunde und kennt Andreas Erbe schon, seit beide in der siebten Klasse waren.
Mit einem Überraschungs-Essen hat der Chor Andreas Erbe verabschiedet.
Das Transparent im Hintergrund zeigt die ersten Takte von „Monday Monday“,
der heimlichen Hymne des Popchors. © pit
Schon im März stand die Nachfolge fest: Über drei Ecken kam der Kontakt mit Jutta Röscher zustande, die am Gymnasium die Big Band und den Mittelstufen-Chor leitet. Das erste gegenseitige Beschnuppern verlief positiv: Popchor und Jutta Röscher passen zusammen. Und für Andreas Erbe war damit der Zeitpunkt des Abschieds gekommen. Die Mitglieder bereiteten ihrem Gründer eine Überraschungsparty, zu der er unter diversen Vorwänden gelockt worden war. Und es muss ein legendärer Abend geworden sein, wenn man den Erzählungen vertraut.
Begonnen hatte 1989 alles bei einem Elternabend: „Ich war Lehrer an der Orientierungsstufe und es ging um den Musikunterricht“, blickt Andreas Erbe zurück. „Einige Mütter sagten, sie würden auch gerne mal in einem Chor singen. Ich hab geantwortet: Kein Problem, sammelt 25 Leute und dann fangen wir an.“ Wie ernst er das damals tatsächlich gemeint hat, ist nicht überliefert. Ebenso ob er damit gerechnet hatte, dass die Mütter in kürzester Zeit tatsächlich zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger zusammentrommeln könnten. Aber: „Das hat keine zwei Wochen gedauert“, lacht Erbe. Und er stand zu seinem Wort.
Popchor Syke: ein überregionales Wunder in Zeiten des Chorsterbens
Ganz bestimmt nicht hatte er damals geahnt, dass dies der Beginn eines kleinen überregionalen Wunders sein würde. „Das war die Zeit, in der das Sterben der Gesangsvereine begann“, erinnert Erbe. Praktisch alle Chöre weit und breit bekamen massive Probleme, auftrittsfähig zu bleiben. Nur der Popchor wuchs und wuchs. „Bei der Gründung waren wir 25 Leute“, erzählt Erbe, „Wir wuchsen schnell auf 70 bis 80. Und 1995 hatten wir 140 Mitglieder.“
Erbe gründete eine Dependance in Rehden und leitete lange Zeit auch diesen Chor. „Das war viel Fahrerei.“ Irgendwann hat Rehden sich dann selbstständig gemacht.
Ein Grund für diese Erfolgsgeschichte liegt in Erbes Konzept, mit dem er damals bundesweit Neuland betreten hatte. Mehrstimmiger Satzgesang mit einem Chor, bei dem niemand Noten lesen können muss und eine in die Zeit passende Auswahl an Titeln. Peter Schmidt-Bormann: „Im Grunde war das unsere Musik, die wir gesungen haben. Beatles, Stones, Abba...“
Andreas Erbe: Jazzliebhaber und Alleinentscheider über die Popsongs im Repertoire
Entschieden, welche Songs ins Repertoire kommen, hat immer allein Andreas Erbe. „Das hab ich mir ausgebeten.“ Was jedes Mal zur Herausforderung wurde, wenn seine Mitglieder Songs vorschlugen, die er gar nicht kannte. „Ich komme nicht aus der Popmusik“, gesteht Erbe. „Mein Steckenpferd waren immer Swing und Jazz. Viele Popsongs kannte ich oft gar nicht. Die musste ich dann erst mal finden und hören. Und dann entscheiden: Okay, den können wir machen. Und den nicht.“
Entscheidende Kriterien waren dabei immer: Kommt Erbe irgendwo an die Noten ran? Und gibt es für den Song bereits ein Instrumental-Arrangement? „Wir hatten ja immer eine Begleitband. In verschiedener Besetzung und Größe“, sagt Erbe. „Inzwischen hat sich die Band auf den Gitarristen Klaus Tirre reduziert. Auch er ist von Anfang an dabei.
Mancher scheinbar einfache Song hat sich als zu schwierig erwiesen
Doch auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt waren, kam am Ende nicht immer auch eine neue Nummer für den Chor dabei raus. Mancher scheinbar einfache Song erwies sich bei den Proben schlicht als nicht singbar. „Norwegian Wood“, fällt Peter Schmidt-Bormann da aufs Stichwort ein. „Das ist so schwierig gewesen, dass wir es aufgegeben haben.“ Andreas Erbe nickt und ergänzt lächelnd: „Davon hat es einige gegeben!“
Die Erklärung liefert er gleich nach: Bei vier-, fünf- oder sogar sechsstimmigen Sätzen singen viele ja gar nicht die eigentliche Melodie. „Sondern Begleitnoten, die allein für sich oft grausig und disharmonisch klingen, aber für das Gesamte unerlässlich sind.“
Einen Moment hat Andreas Erbe überlegt, ob er als ganz normaler Sänger im Popchor weiter zur Fahne hält. Er hat die Idee verworfen. Nicht für alle Zeit! Aber: „Dafür ist es noch zu früh. Ich muss erst mal Abstand gewinnen.“ Und so endet für beide Seiten eine Epoche. „Ein sehr wichtiger musikalischer Lebensabschnitt für mich“, wertet Andreas Erbe. „Und er ging viel zu schnell vorbei!“